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Dante Alighieri und das Atlantis des Platon

Wird Atlantis im Inferno der Göttlichen Komödie erwähnt?

Thorwald C. Franke © 12.06.2013



Inhalt:


Abb. 1: Domenico di Michelino: Dante und die drei Reiche, Dom von Florenz

Ein unbearbeitetes Dante-Thema?

Die Werke Dantes, insbesondere die "Divina Commedia", die "Göttliche Komödie", erfreuen sich weltweit einer großen Beliebtheit. Einer der Gründe dafür ist, dass Dante in der Göttlichen Komödie zahllose Anspielungen und Andeutungen untergebracht hat, die zu entschlüsseln sich viele zur Aufgabe gemacht haben. Und es gibt kaum ein Thema, zu dem Dante nichts zu sagen gehabt hätte. Die Sekundärliteratur zu Dantes Werken ist äußerst reichhaltig und teilweise auch skurril. Es ist kein Zufall, dass Dan Brown seinen neuesten Bestseller "Inferno" auf Dantes Göttlicher Komödie aufbaut.

Dennoch scheint es so, als ob es zur Frage nach Platons Atlantis im Werk des Dante Alighieri aus Florenz noch keine Untersuchung gäbe. Das ist seltsam, äußert sich Dante doch ausführlich zu geographischen Fragen vor dem Hintergrund eines antiken Weltbildes.

Dante kannte Platons Timaios

Es steht außer Frage, dass Dante mit Platons Timaios bekannt war. Mehrfach greift er auf Gedanken aus diesem Werk zurück, teilweise unter expliziter Angabe des Timaios als Quelle. So z.B. im Paradiso IV 49 oder im Convivio III 5.

Allerdings gilt es zu beachten, dass Dante den Dialog Platons nicht im Original gekannt haben wird. Entweder er kannte die lateinische Übersetzung des Calcidius, oder er war damit nur indirekt durch die Werke des Augustinus oder des Albertus Magnus bekannt (Ruud (2008) S. 183).


Abb. 2: Das Weltbild der Göttlichen Komödie

Dante folgt dem geographischen Weltbild des Aristoteles

Zu Dantes Zeit galt Aristoteles als "der Philosoph" schlechthin, der als Meisterdenker auch noch über Sokrates und Platon gestellt wurde. Das geographische Weltbild des Aristoteles ist deshalb im großen und ganzen der Rahmen für das geographische Weltbild des Dante (vgl. z.B. Kimble (1938) Appendix I: Dante's Geographical Knowledge).

Das bedeutet, dass die Erde als eine Kugel verstanden wird. Die Landmasse konzentriert sich auf der Nordhalbkugel, wo sie sich wie ein Band um die Erde herumlegt. Dieses Band ist aber kein geschlossener Ring, sondern wird durch das Meer unterbrochen. Die beiden Enden der halbmondförmigen Landmasse sind im Westen die Säulen des Herakles und im Osten die Mündung des Ganges. Auf der Südhalbkugel gibt es für Dante nur Meer, abgesehen vom Läuterungsberg der Göttlichen Komödie.

Entgegen dem modernen Irrtum aus dem 19. Jahrhundert, dass Aristoteles sich angeblich gegen die Existenz von Atlantis geäußert hätte, schwieg Aristoteles zu diesem Thema bzw. zeigt in seinen Texten sogar eine gewisse Neigung dazu, den Atlantisbericht für wahr zu halten (Franke (2010)).

Inferno: Vom Versinken und Auftauchen von Landmassen

Im Canto XXXIV des Inferno entsteigen Vergil und Dante dem Höllenreich und gelangen auf der Südhalbkugel der Erde wieder an die Oberfläche. Bei dieser Gelegenheit kommt Dante auf die Entstehung der Hölle durch den Sturz des Luzifer auf die südliche Hemisphäre zu sprechen (Inferno XXXIV 121-124):

      "Vom Himmel stürzt' auf dieser Seit' er nieder,
      Und alles Land, das diesseits sich erhoben,
      Verbarg aus Furcht sich in des Meeres Schleier
      Und tauchte auf in eurer Hemisphäre;"

Wie ein Komet soll Luzifer also auf der Erde eingeschlagen und alles Land auf der Südhalbkugel zum Untergang gebracht haben, worauf dieses Land dann auf der Nordhalbkugel wieder auftauchte.

Ist dies eine Anspielung auf Platons Atlantis? Ein Komet stürzt auf die Erde (vielleicht Phaeton?!), Landmassen gehen unter ... – doch nein! Es passt nicht: Während Platons Atlantis dauerhaft versunken bleibt, tauchen die Landmassen bei Dante wieder auf. Es handelt sich auch nicht um nördliche Landmassen zwischen den Säulen des Herakles und Indien, sondern um südliche Landmassen. Und drittens wird Phaeton bei Dante nirgends als stürzender Komet, sondern als verbrennende Sonne interpretiert, wie wir gleich sehen werden. Auch bei Platon ist Phaeton kein Komet.

Der Sturz des Phaeton?

Viele Atlantis-Hypthesen bauen auf die Überzeugung auf, dass der Phaeton-Mythos am Beginn der Atlantiserzählung ein Hinweis auf einen Kometeneinschlag wäre, der Atlantis zum Untergang brachte. Der Phaeton-Mythos wird auch in Dantes Göttlicher Komödie mehrfach erwähnt (Inferno XVII 106 f.; Purgatorio IV 71 f.; Paradiso XXXI 124 f.).

Aber der Sturz des Phaeton ist für Dante kein Thema. Es geht immer nur um die Verbrennungen, die Phaeton verursachte. Das ist übrigens auch bei Platon so, weshalb diesen Atlantis-Hypothesen jede Grundlage fehlt. Vermutlich kannte Dante den Phaeton-Mythos auch weniger direkt aus Platons Timaios, sondern vielmehr über die Metamorphosen des Ovid.

Ringstrukturen?

In Dantes Göttlicher Komödie kommen zahlreiche Ringstrukturen in Hölle, Fegefeuer und Himmel vor. Doch diese Vorstellungen entstammen eindeutig ganz anderen Quellen als Platons Atlantiserzählung. Es passt nichts zusammen: Die Zahl der Zirkel, ihre Anordnung, ihre Funktion, usw. Nur mit Gewalt könnte man hier eine Übereinstimmung sehen.

Das gilt genauso für die drei Flüsse der Hölle (Acheron, Styx, Phlegethon) und die Höllenstadt Dis, die man in keiner Weise mit den drei Wassergräben des Stadtzentrums von Atlantis in Verbindung bringen kann. Es wäre die reine Willkür. Es gibt übrigens noch einen vierten Fluss in Dantes Inferno, den Cocytus.


Abb. 3: Nicola Consoni: Vergil und Dante treffen auf Homer, Horaz, Ovid, Lucan

Eine heiße Spur: "König" Atlas!?

In Dantes Werk "De Monarchia" scheinen wir endlich fündig zu werden: Dort schreibt Dante über den Himmelsträger Atlas als einem "König" (De Monarchia II 3 11 ff.). Dabei bezieht sich Dante auf den Dichter Vergil (Aeneis VIII 134 ff.) – doch Vergil nennt den Titanen Atlas keinen "König". Ein König ist nämlich nur der König Atlas von Atlantis bei Platon, nicht jedoch der bekannte Himmelsträger und Titan Atlas aus der traditionellen griechischen Mythologie. Diese zwei Personen sind nicht identisch, doch hat sich Dante wie viele andere offenbar nicht darum gekümmert, diesen Unterschied sehen zu wollen. Und damit hätten wir – so scheint es – einen klaren Hinweis, dass Dante die Atlantiserzählung Platons als real akzeptierte. Der König Atlas wird von Dante zudem beim Atlasgebirge in Nordwestafrika verortet und auch von "glücklichen Inseln" ist die Rede, die zum Herrschaftsgebiet des Atlas gehören.

Doch leider trügt der Schein. Es handelt es sich nicht um einen Hinweis auf Platons Atlantis. Ursache hierfür sind die Metamorphosen des Ovid, die Dante bestens bekannt waren. Bereits in den Metamorphosen des Ovid findet sich eine Darstellung des Atlas als Herrscher, die den Mythos vom Titanen Atlas, der zum Tragen des Himmels verurteilt wurde, gegen dessen ursprünglichen Sinn ausschmückt und verfälscht (Metamorphosen IV 628 ff.). Dante wird seine Darstellung des Titanen Atlas als "König" also von Ovid haben. Damit ist keine Aussage mehr über die Auffassung Dantes zu Platons Atlantiserzählung gegeben. Bei Dante kann Atlas einfach nur der König des Atlasgebirges sein, ohne dass es eine große Insel gegeben haben muss.

Die genannten "glücklichen Inseln" werden zudem ebenso als westliche Grenze der Welt angesprochen, genau wie das Atlas-Gebirge, und kommen deshalb nicht als Atlantis in Frage; es wird sich wohl um die Kanaren handeln. Dantes Quelle für diese Aussage ist bekannt: Es ist Paulus Orosius, bei dem von Atlantis ebenfalls nicht die Rede ist (Historiarum adversum paganos libri VII: I 2,10).

Eine explizite Stellungnahme Dantes gegen Atlantis?

In seinem Werk "Quaestio de aqua et terra" geht Dante der Frage nach, warum sich das Land über das Meer erhebt und Kontinente bildet. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass es einzig die Sphäre der Fixsterne sein kann, die auf das Land einen solchen Einfluss ausübt, dass es sich anhebt. Alle anderen Möglichkeiten schließt Dante aus, weder die Erde noch das Wasser, noch Luft noch Feuer noch die Planeten-Sphären kommen in Frage. Die Fixsterne hingegen seien im Norden tatsächlich anders verteilt als im Süden.

Entscheidend ist Dantes Antwort auf die Frage, warum sich das Land dann nicht in einem geschlossenen Ring um die Nordhalbkugel der Erde erhebt, sondern vom Meer an der Stelle unterbrochen wird, wo Platon Atlantis verortet hatte (Quaestio de aqua et terra 21, andere: 73):

      "Dann aber entsteht die Frage, woher es komme,
      dass jene im Kreise sich umdrehende Himmelsgegend
      nicht ringsum eine Erhebung verursacht habe.
      Die Antwort ist: weil der vorhandene Stoff dazu nicht ausreichte."

Das scheint eine klare Aussage gegen die Existenz von Atlantis zu sein: Wenn der Stoff nicht ausreicht, um das Meer zwischen den Säulen des Herakles und Indien ganz oder teilweise zu füllen, dann bedeutet das, dass dieser Stoff niemals da war. Atlantis kann es also gar nicht gegeben haben, es ist kein Stoff dafür da, so scheint es.

Doch dieser Schluss ist zu voreilig. Dante schweigt nämlich dazu, warum der Stoff auf der Nordhalbkugel auf jene ungleichmäßige Weise verteilt ist, so dass eine Lücke in der Landmasse existiert, die sich ringförmig um die nördliche Halbkugel legt. Von der sich gleichmäßig über allen Orten der Nordhalbkugel drehenden Fixsternsphäre kann man mit gutem Recht erwarten, dass sie das Land überall gleichmäßig anheben würde.

Es muss also – ganz im Sinne der Argumentation Dantes – eine einmalige Ursache gegeben haben, die diese Ungleichmäßigkeit bewirkt hat. Nachdem die ungleichmäßige Verteilung des Landes vorhanden war, konservierte der gleichmäßig anziehende Einfluss der Fixsternsphäre den ungleichmäßigen Zustand. Über dessen Ursache jedoch schweigt Dante. Er wirft noch nicht einmal die Frage auf, sondern ist an dieser Stelle auffällig kurz angebunden.

Warum Dante schwieg

Es wäre interessant zu wissen, was Dante, der berühmte mittelalterliche Dichter (1265-1321) und Anhänger des Aristoteles, über das Atlantis des Platon dachte. Doch leider kommt Dantes Meinung über Atlantis an keiner Stelle seines Werkes klar genug zum Ausdruck.

Wie wir gesehen haben, liegt dies vor allem daran, dass Dante nicht auf die Originaltexte Platons zurückgriff, sondern auf lateinische Texte und auch nur auf das, was andere daraus gemacht hatten. Das richtige Verständnis des originalen Atlantisberichtes des Platon war im Mittelalter ganz offensichtlich verschüttet unter den Vorstellungswelten der Bibel, der Kirchenlehrer und der späteren lateinischen Autoren wie Vergil oder Ovid. Diese falschen Sichtweisen leben heute noch fort bei pseudo-wissenschaftlichen Atlantis-Suchern, die glauben, sich auf die Bibel oder Ovids Mythologie stützen zu können.

Ein weiterer Grund ist das generelle Desinteresse der Menschen des Mittelalters an "irdischen Dingen". Zudem galt Atlantis als versunken und war somit nicht "erreichbar". "Erreichbar" wurde Atlantis erst mit der Entdeckung Amerikas, die mit dem "gegenüberliegenden Festland" zumindest einen Teil von Platons Atlantisbericht zur erfahrbaren Realität werden zu lassen schien. Vielleicht liegt Dantes Zurückhaltung aber auch darin begründet, dass Dante wie Aristoteles dem Atlantisproblem etwas ratlos gegenüber stand, und deshalb lieber schwieg? (vgl. Franke (2010))

Wie auch immer: Auch das Wissen darum, was man nicht weiß, ist ein wertvolles Wissen.

Literatur

Franke (2010): Thorwald C. Franke, Aristoteles und Atlantis – Was dachte der Philosoph wirklich über das Inselreich des Platon?, Verlag BoD, Norderstedt 2010.

Kimble (1938): George H. Kimble, Geography in the Middle Ages, Methuen & Co. London 1938.

Ruud (2008): Jay Ruud, Critical Companion to Dante – A Literary Reference to His Life and Work, Facts on File Inc. / Infobase Publishing, New York 2008.

Externe Links

Dante: Göttliche Komödie. Deutsch. Italienisch.
Dante: De Monarchia. Deutsch. Latein.
Dante: Quaestio de aqua et terra. Deutsch. Latein.

PS 09.05.2015: Pierre Louis Ginguené 1820

Im Jahr 1820 spekulierte der französische Literaturhistoriker und Diplomat Ginguené (1748-1816), ob Dante mit dem Purgatoriumsberg vielleicht auf den Vulkanberg von Teneriffa auf den Kanaren anspielen wollte, und damit auf Platons Atlantis. Vgl. Pierre Louis Ginguené, Histoire littéraire d'Italie, Paolo Emilio Giusti Imprimeur-librairie, Mailand 1820; Band II Cap. VIII Sect. II S. 99.
Externer Link: https://archive.org/stream/histoirelittrair02ging#page/98/mode/2up



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