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Ein geologischer Meilenstein der Atlantisforschung

Hans Pettersson widerlegt 1944 Atlantis im Atlantik

Thorwald C. Franke 5./6. April 2010


Im Jahr 1944 legte der schwedische Ozeanograph Hans Pettersson erstmals eine wissenschaftlich hinreichend gesicherte und überzeugende Beweisführung dafür vor, dass Atlantis im Atlantik, d.h. an dem Ort, wo Platon Atlantis sah, nicht existiert haben kann.

Der späte wissenschaftliche Beweis

Das Problem der Unzahl an Lokalisierungsversuchen für Platons Atlantis, die zudem an den unmöglichsten Orten gemacht wurden, ist bestens bekannt. Weniger bekannt ist, dass viele dieser Lokalisierungen historisch betrachtet nicht dermaßen unsinnig sind, wie es aus heutiger Sicht den Anschein hat. Dies gilt insbesondere für die Lokalisierung von Atlantis im Atlantik, wo Atlantis dem Wortlaut der Dialoge Platons zufolge gelegen haben soll.

Denn erst 1944 legte die Wissenschaft eine Schrift vor, die hinreichend verlässlich klärte, dass Atlantis nicht im Atlantik gelegen haben kann. Es handelt sich um „Atlantis und Atlantik“ von Hans Pettersson (1888-1966), einem studierten Kernphysiker, der als Pionier der Schwedischen Ozeanographie das Ozeanographische Institut in Gothenburg gründete. Pettersson verstand es, durch zahlreiche populärwissenschaftliche Veröffentlichungen die Aufmerksamkeit weiterer Kreise für seine Sache zu gewinnen. In der Reihe dieser wissenschaftlich soliden aber dennoch auf ein breiteres Publikum zielenden Veröffentlichungen steht auch „Atlantis und Atlantik“.

Wie Pettersson richtig ausführt, begann die geologische Fragestellung nach Atlantis spätestens mit der Veröffentlichung von Ignatius Donnellys „Atlantis – The Antediluvian Word“ im Jahr 1882 unter den Nägeln zu brennen. Der genialische Dilettant Donnelly lenkte den Blick auch auf geologische Aspekte und vermochte es, die Massen für Atlantis zu interessieren sowie Fachleute zu neuem Nachdenken anzuregen. 1913 hielt dann der Geologe Pierre-Marie Termier seinen vielbeachteten Vortrag, der den Glauben an Platons Atlantis im Atlantik wissenschaftlich zunächst unterstützte.

Landbrücken oder Kontinentalverschiebung?

Was viele nicht wissen, ist die Tatsache, dass sich die von Alfred Wegener begründete Theorie der Kontinentalverschiebung, die uns heute unter dem Namen „Plattentektonik“ so selbstverständlich erscheint, erst sehr spät durchsetzen konnte, nämlich in den 1960er und 1970er Jahren. Im Jahr 1944, dem Jahr der Veröffentlichung von Petterssons Schrift, war diese Theorie mitten in der Durchsetzung begriffen und fand noch ernstzunehmende Gegner.

So diskutiert Pettersson ebenso ausführlich die Theorie der Landbrücken, die die verschiedenen Erdteile verbanden. Diese Landbrücken sind Postulate der Paläozoologie und der Paläobotanik, die aus dem Vorkommen ähnlicher Tiere und Pflanzen in verschiedenen Erdteilen den zwingenden Schluss ziehen, dass es einst Landverbindungen zwischen den Erdteilen gegeben haben muss. Dazu gehört auch der in der pseudowissenschaftlichen Literatur zu Atlantis immer noch herumgeisternde Kontinent Lemuria, der Madagaskar mit Indien verbunden haben soll, sowie eine in der Wissenschaft damals ernsthaft in Erwägung gezogene Landbrücke zwischen Mittelamerika und Gibraltar, sinnigerweise „Archatlantis“ genannt.

Damit pflegte die moderne Wissenschaft lange Zeit ähnliche Vorstellungen, wie sie einst Aristoteles von Platons Atlantis hatte: Wegen des Vorkommens von Elefanten bei Gibraltar und in Indien postulierte Aristoteles implizit eine untergegangene Landverbindung beider Orte über den Atlantik; eine Landverbindung, die Aristoteles zufolge die Landmasse, die sich um die Nordhalbkugel herumlegt, zu einem durchgehenden, symmetrischen Band verbunden hätte. Dazu und zu dem verbreiteten Irrtum, dass sich Aristoteles gegen die Existenz von Atlantis ausgesprochen hätte, vgl. Franke (2010).

Mit Recht weist Pettersson jedoch darauf hin, dass diese Landbrücken – so sie es denn gegeben haben sollte – für Platons Atlantis nicht in Frage kommen, da sie vor zig Millionen von Jahren existierten, und nicht erst in unserer nacheiszeitlichen Epoche untergingen.

Nach der Theorie der Kontinentalverschiebung von Wegener existierten diese postulierten Landbrücken niemals, sondern die Landverbindungen bestanden in dem früheren Zusammenhang der Kontinente vor ihrem Auseinanderdriften. Kontinente versinken i.d.R. auch nicht einfach, wie sich u.a. am Fehlen von Tiefseesedimenten an Land zeigen lässt, sie verschieben sich nur auf der Erdoberfläche. Damit gab es niemals eine größere Insel im Atlantik, die versank. Die Verschiebungen sind zudem seit zig Millionen von Jahren im Gange, was ein Atlantis nach der letzten Eiszeit ebenfalls unmöglich macht. Der mittelatlantische Rücken, zu dem auch die Azoren gehören, ist hingegen kein abgesunkenes Land, sondern im Gegenteil von unten her vulkanisch aufsteigendes Material, als Folge der Kontinentalverschiebungen.

Die Azoren als Ort von Atlantis

Für die Azoren räumt Pettersson ein, dass eine starke Niveauänderung der Landmasse (beachte: nicht des Meeresspiegels) hier aufgrund großer seismischer Aktivitäten theoretisch im Bereich des Möglichen wäre. Ein erster Einwand ist jedoch, dass auch eine große Niveauänderung nur zur Bildung einer recht kleinen Gesamtinsel führen würde, da die Azoren extrem steil und hoch über den Meeresboden aufragen.

Ausführlich geht Pettersson auf den Atlantisvortrag des französischen Geologen Pierre-Marie Termier aus dem Jahr 1913 ein. Termier hatte einen Felsbrocken untersucht, der 1898 bei Kabelarbeiten vom Meeresgrund des Atlantik empor geholt worden war. Es handelt sich um Tachylit, eine glasartig erstarrte Lava, die vom Meerwasser kaum angegriffen war. Termier glaubte nun sagen zu können, dass Lava unter dem Druck des Meerwasser nicht hätte glasartig erstarren können, und dass das Meerwasser die Lava hätte stärker angreifen müssen. Daraus schloss er, dass der Meeresgrund, von dem der Tachylit stammte, einst über Wasser lag, so dass die Lava dort glasartig erstarren konnte, und dass dies maximal 25000 Jahre her sein konnte, da sonst das Meerwasser die Lava angegriffen hätte. Bis heute wird diese Auffassung Termiers in der pseudowissenschaftlichen Literatur zu Atlantis als ein Beweis für die Möglichkeit von Atlantis im Atlantik gewertet, ohne auf Gegenargumente einzugehen.

Pettersson stellt den Thesen Termiers die Auffassung des schwedischen Geologen Arvid Gustaf Högbom von 1938 entgegen: Dieser stuft Termier als allzu unkritisch ein und äußert die Auffassung, dass Lava sehr wohl auch unter Wasser glasartig erstarren könne, und dass auch die fehlende Angegriffenheit der Oberfläche des Tachylit nicht so eng wie von Termier interpretiert werden dürfe. Vielmehr hält Högbom den von ihm so genannten „Atlantomanen“ folgenden Gegenbeweis entgegen: Die im Zuge der Eiszeit durch Eisberge auf die Azoren verfrachteten Felsblöcke hätten sich alle in der Nähe der heutigen Küstenlinie abgelagert. Das bedeutet, dass sich das Niveau von Landmasse und Meeresspiegel seit der letzten Eiszeit etwa auf derselben Höhe befand wie heute. Högbom schlägt alternativ die heutige Nordsee als das Gebiet von Atlantis vor.

Änderungen des Meeresspiegels statt Änderungen des Höhenniveaus der Landmasse als Ursache für eine größere Insel bei den Azoren schließt Pettersson ebenfalls konsequent aus. Auch die größte Vereisung würde nur eine Niveausenkung des Meeres um rund 200 Meter mit sich bringen, aber erst ab einer Niveausenkung von 2000 Metern würden die Azoren beginnen, eine immer noch relativ kleine Insel zu bilden.

Pettersson versäumt auch nicht, auf phantastische Gedankenspiele einzugehen. Dazu gehört u.a. auch die Idee eines zweiten Mondes, die in der pseudowissenschaftlichen Literatur über Atlantis diskutiert wird. Dieser zweite Mond habe sich immer auf derselben Seite der Erde befunden, sei also in 24 Stunden mit der Erde mit rotiert, so dass er eine bleibende Gezeitenwelle verursacht habe, die den mittelatlantischen Rücken permanent freilegte, weil dieser Mond zudem so nahe war, dass er ein Vielfaches der Gezeitenwelle unseres heutigen Mondes bewirkte. Weil der zweite Mond der Erde zu nahe kam, sei er schließlich zerplatzt, was eine rasche Überschwemmung des mittelatlantischen Rückens zur Folge gehabt hätte. Pettersson stuft solche haltlosen Spekulationen und Rechenspielchen mit Recht als Phantastereien ein.

Högboms Ausführungen folgend fällt der heute immer wieder zitierte Satz: „Platons Atlantis ist geophysikalisch eine Leiche, die kein Geologe, er sei noch so angesehen, ins Leben zurückzurufen vermag.“

Atlantis als Erinnerung?

Nach Auffassung von Pettersson könnte die Atlantiserzählung Platons höchstens einen minimalen historischen Kern enthalten: Steinzeitliche Stämme hätten sich vielleicht von untergehenden kleineren Inseln im Atlantik nach Afrika oder Spanien gerettet. Eine dunkle Erinnerung daran hätte sich vielleicht bis auf Platon überliefert. Der Angriff der Atlanter auf Ägypten sowie deren Hochkultur sei hingegen völlig unmöglich und ganz klar eine Erfindung des Platon.

Eine Lokalisierung von Atlantis im Mittelmeer schließt Pettersson aus, weil dies seiner Auffassung nach nicht annähernd mit der Darstellung Platons in Einklang zu bringen sei. Der Gedanke einer historisch-kritischen Interpretation der Atlantiserzählung, die solche Deutungen nicht von vornherein ausschließen würde, kommt bei Pettersson nicht vor. Er stützt sich vielmehr auf die Sichtweise der Philologen seiner Zeit, die Atlantis als Erfindung Platons einstufen.

Pettersson diskutiert auch die Besiedlung Europas durch Neandertaler und Cro-Magnon-Menschen. In Griechenland, wo nach Platon ein Ur-Athen existiert haben soll, habe es aber nachweislich keine nacheiszeitliche Hochkultur gegeben. Petterson weist zurecht darauf hin, dass eine Hochkultur kurz nach der Eiszeit auch ganz unabhängig von der Lokalisierung ein Ding der Unmöglichkeit ist. Für die antike Seefahrt hingegen attestiert Pettersson die grundsätzliche Möglichkeit, die Azoren zu erreichen. Als Beleg nennt er einen karthagischen Münzfund.

Ein glaubwürdig geschriebenes Werk

Petterssons Werk verdankt seine Stellung als Meilenstein der Atlantisforschung auch dem Umstand, dass es „sine ira et studio“ geschrieben ist. Pettersson verteufelt Atlantis-Sucher nicht, sondern widerlegt die Möglichkeit von Atlantis im Atlantik Punkt für Punkt, sachlich und fair. Pettersson verschweigt auch nicht, dass es noch offene Fragen gibt, z.B. die Enstehung von Flusstälern in den Schelfgebieten der Kontinente.

Ebenso überzeugend beschreibt Pettersson die Hintergründe und Entwicklungen in Geologie und Ozeanographie und stellt verschiedenste Theorien und Methoden der Untersuchung dieser Disziplinen vor. Es handelt sich um ein populärwissenschaftlich geschriebenes Werk auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament.

Fazit

Die Schrift „Atlantis und Atlantik“ von Hans Pettersson aus dem Jahr 1944 ist ein Meilenstein der Atlantisforschung. Erstmals konnte es als wissenschaftlich hinreichend gesichert gelten, dass die Lage von Atlantis im Atlantik, d.h. dem wörtlich von Platon angegebenen Ort, ausgeschlossen werden kann. Dass Pettersson dabei gleich jede historisch-kritische Interpretation der Platon-Dialoge mit ausschloss, nach der Atlantis vielleicht ein Ort im Mittelmeerraum war, ist ihm nicht vorzuwerfen. Er hat als Ozeanograph in seinem Fachgebiet gute Arbeit geleistet und sich ansonsten auf die philologische Wissenschaft seiner Zeit verlassen. Ein direkter Nachfolger im Geiste Petterssons ist Zdenek Kukal mit seinem 1984 erschienenen Werk „Atlantis in the Light of Modern Research“.

Literatur

Donnelly (1882): Ignatius Donnelly, Atlantis – The Antediluvian World, Harpers & Brothers, New York/USA 1882 / Sampson Low, London 1882. Deutsche Erstausgabe: Atlantis, die vorsintflutliche Welt, übersetzt von Wolfgang Schaumburg, Verlag Schnurpfeil, Leipzig 1895.

Franke (2006): Thorwald C. Franke, Mit Herodot auf den Spuren von Atlantis – Könnte Atlantis doch ein realer Ort gewesen sein?, Verlag Books-on-Demand, Norderstedt 2006.

Franke (2010): Thorwald C. Franke, Aristoteles und Atlantis – Was dachte der Philosoph wirklich über das Inselreich des Platon?, Verlag Books-on-Demand, Norderstedt 2010.

Högbom (1938): Arvid Gustaf Högbom, Die Atlantislitteratur unserer Zeit – Betrachtungen eines Geologen, Bulletin of the geological institutions of the University of Uppsala Nr. 28 / 1938; S. 18-78. („Atlantislitteratur“ mit Doppel-t! Jahrgang oft fälschlich mit 1939, 1940 oder 1941 angegeben.)

Kukal (1984): Zdenek Kukal, Atlantis in the Light of Modern Research, Academia-Verlag, Prag 1984.

Pettersson (1944): Hans Pettersson, Atlantis och Atlanten, Albert Bonniers Förlag, Stockholm 1944. Deutsche Erstausgabe: Atlantis und Atlantik, übersetzt von Stefan Meyer, Springer-Verlag, Wien 1948.

Termier (1913): Pierre-Marie Termier, L'Atlantide, Bulletin de l’Institute Océanographique de Monaco Bd. 256 / 1913; S. 1-146.



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