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Die Atlantis-Doku des Grauens

Eine Rezension

Thorwald C. Franke
© Januar 2021



Im Jahr 2006 erschien die achtteilige Dokumentation "Quest for Atlantis: Startling New Secrets" mit einer Länge von insgesamt 1 h 29 min. Sie wurde von NBC News Productions für den Sci Fi Channel hergestellt. Durch die Sendung führt die Moderatorin Natalie Morales und eine männliche Stimme aus dem Off. Die deutsche Fassung erschien am 09.02.2008 unter dem Titel "Die Suche nach Atlantis: Verblüffende neue Erkenntnisse" auf dem Sender Premiere 1. Die deutsche Synchronübersetzung ist sehr wörtlich.

Diese Dokumentation ist der Alptraum einer Atlantis-Doku. Hier wird die Suche nach Atlantis systematisch lächerlich gemacht und diskreditiert. Dies geschieht auf folgende Weise.

Zunächst wird eine völlige Fehlwahrnehmung von Platons Atlantis geschaffen. Atlantis wird in maßloser Übertreibung als Wunderland hingestellt, um es dann um so einfacher zum Mythos und zur Allegorie erklären zu können. Atlantis wird als die Vollkommenheit auf Erden bezeichnet, als ein Ort der Schönheit. Die Atlanter waren angeblich unermesslich reich und wurden von allen beneidet. Die Zivilisation von Atlantis war größer als Rom, Ägypten oder Griechenland, heißt es. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Atlantisgeschichte aus dem östlichen Mittelmeerraum stammt, wo viele Mythen und Legenden ihren Ursprung hätten. Der Subtext ist: Dann ist auch Atlantis nur ein Mythos und eine Legende. Zudem wird Atlantis mit dem Ursprungsort der Menschheit verwechselt. Von Platon wird nur gesagt, dass er auch mit Allegorien arbeitete, ohne dies näher zu erläutern. So entsteht der Eindruck, dass dann auch Atlantis nur eine Allegorie sein könne. Schließlich wird die ewig falsche Behauptung präsentiert, dass die Suche nach Atlantis praktisch erst mit Ignatius Donnelly begann. Auf der Grundlage dieses völlig falschen Bildes von Atlantis entfaltet sich dann diese Doku.

Die Doku konzentriert sich auf zwei Expeditionen von angeblich "führenden Experten" zu Atlantis: Eine Expedition der esoterischen Cayce-Stiftung bei Bimini unter der Leitung von Greg Little, und die Expedition von Robert Sarmast östlich von Zypern. Sarmast ist ein Amateurforscher, der an ein Atlantis um 12.000 v.Chr. glaubt. Angereichert wird das Potpourri durch Michael Tsarion, der glaubt, dass die Atlanter Außerirdische waren, deren destruktive "Blutlinie" noch heute in den Adern von Adligen, Kapitalisten und Freimaurern fließt. Oder durch Zecharia Sitchin, der ebenfalls an Außerirdische glaubt. Oder durch Alex Chionetti, der Atlantis in der Antarktis sucht, die Piri Reis Karte fehlinterpretiert, und an eine Erdachsenverschiebung glaubt. Ganz kurz wird auch Erich von Däniken eingeblendet.

Mit anderen Worten, der typische Atlantissucher ist ein Esoteriker, er glaubt an Außerirdische, und er hat völlig fragwürdige Ideen. Nur für Sekundenbruchteile wird auch Santorin erwähnt. Das bedeutet, dass seriöse Versuche, die Atlantisgeschichte realistisch zu deuten, ausgeblendet werden. Es wird nicht auf die minoische Kultur, nicht auf die ägyptische Kultur und nicht auf die Zeit der Seevölkerkriege eingegangen. Es wird auch keine Sekunde lang historisch-kritisch gedacht, denn das Datum der 9000 Jahre vor Solons und Platons Zeit wird nicht hinterfragt.

Die Doku zögert nicht, die Atlantissucher als lächerlich vorzuführen: Auf Bimini werden nur Steine gefunden, die vielleicht Ankersteine sind, aber auf keinen Fall alt genug, um auf Atlantis deuten zu können. Robert Sarmast kommt über ein Computermodell des Meeresbodens nicht hinaus, und ist am Ende der Doku immer noch auf der Suche nach weiteren Geldgebern. Alex Chionetti hat angeblich Berichte einer norwegischen Expedition über Bauten in der Antarktis, doch auf die Frage, wo diese Gebäude liegen, antwortet er nur, dass er das nicht verraten könne ... Wiederholt wird auf die Finanzierung der Expeditionen eingegangen: Nur Funde bringen Funding, d.h. ein Hauch von Geldmacherei liegt in der Luft. Den Forschern wird auch falscher Ehrgeiz zugeschrieben (den sie teilweise tatsächlich haben): Sie wollen Geschichte schreiben, jeder will der erste sein, usw.

Auch der Sprachstil der Dokumentation macht sich offen über die Atlantissucher lustig. So heißt es z.B., dass Robert Sarmast "lustigerweise" ebenso sicher sei, Atlantis zu finden, wie Greg Little. Wiederholt werden die Atlantissucher als "Abenteurer" bezeichnet. Der Schlusssatz der Doku lautet, dass die Suche nach Atlantis immer weitergehen werde "durch Romantiker und Abenteurer, die von der Kraft ihrer Überzeugungen getragen werden. Menschen, auf die Platon stolz gewesen wäre." Es ist kaum anzunehmen, dass Platon auf Atlantissucher von der irrationalen Sorte stolz gewesen wäre.

In einer solchen Doku dürfen "die Nazis" natürlich nicht fehlen. "Die Nazis hatten sich Atlantis angeeignet und versuchten, Atlantis als die Heimat einer weißen, höherstehenden Rasse darzustellen", sagt Laura Little, Ehefrau von Greg Little. Aus dem Off raunt es: "Warum ließ Hitler so besessen nach Atlantis suchen?" Die Autorin Heather Pringle meint schließlich: "In den Augen vieler Nazis war die mystische Heimat der arischen Rasse." Auch die Welteistheorie von Hörbiger wäre von "den Nazis" geglaubt worden. Und "die Nazis" entsandten natürlich Expeditionen in alle Welt, um nach Atlantis zu suchen. So die Märe dieser Doku.

Doch in Wahrheit haben "die Nazis" überhaupt nichts mit Atlantis am Hut gehabt. Hitler spottete über Atlantissucher. Nur einzelne Nationalsozialisten, z.B. Heinrich Himmler, glaubten an Atlantis, aber das weitgehend nur für sich privat. Einige wenige Expeditionen hatten mehr oder weniger mit Atlantis zu tun, die meisten aber nicht. So auch die vielbeschworene Tibet-Expedition nicht. Die Doku stellt es so dar, als wäre die Suche nach Atlantis von Hitler ausgegangen, und Hitler hätte Himmler mit der Suche beauftragt. Das ist völliger Unsinn. Das Fazit der Doku: "Viele Jahre lang war die Suche nach Atlantis diskreditiert durch die üblen Machenschaften der Forscher des Dritten Reiches." Die Fehlwahrnehmung des (Nicht-)Verhältnisses von Nationalsozialismus und Atlantis, die auch in dieser Doku reproduziert wird, hatte tatsächlich diese Wirkung. Insofern ist diese Doku ein Fall von selbsterfüllender Prophezeiung, die mit der Realität des Nationalsozialismus nichts zu tun hat.

Als wissenschaftlicher Atlantisskeptiker wird immer wieder Ken Feder eingeblendet, dessen Argumente sich vor allem gegen Atlantishypothesen von der vorgestellten Art richten. Natürlich kann man Ken Feder im Verlauf der Doku immer nur wieder beipflichten: Esoterik, Außerirdische etc. pp. sind Unsinn. Doch die vorgestellten Atlantissucher sind eben nicht die "führenden Experten", wie die Doku fälschlich behauptet. Die Doku behauptet zudem vollmundig: "Unsere Suche nach Atlantis wird der erste Versuch sein, alle Teile zusammenzusetzen." Seufz! An einer Stelle wird ein Bild des Tempels von Atlantis gezeigt und behauptet, so habe der Tempel von Atlantis nach den Beschreibungen Platons ausgesehen. Doch zum Aussehen des Tempels sagt Platon nicht viel. Am Rande fällt noch auf, dass die Büste, die zu den Zitaten von Platon eingeblendet wird, nicht die Büste Platons ist. Nicht einmal das hat diese Doku korrekt hinbekommen.

Fazit

Diese Dokumentation zeichnet ein völlig falsches Bild von Platon und von Atlantis und von der Frage, ob Atlantis ein realer Ort sein könnte. Vielmehr wird die Suche nach Atlantis systematisch lächerlich gemacht. Durch ein völlig falsches Bild des Verhältnisses von Nationalsozialismus und Atlantis wird zudem ein dunkler Schatten auf die Suche nach Atlantis gelegt, zumal die vorgestellten Hypothesen zu Außerirdischen ebenfalls rasstische Züge tragen. Wenn die Perspektive der Doku die Beleuchtung der Pseudowissenschaft im Umfeld der Atlantisfrage gewesen wäre, wäre es in Ordnung gewesen. Aber als Doku über die Suche nach Atlantis im allgemeinen ist es eine Dokumentation des Grauens.



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