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Rezension zu: Alla ricerca del Labirinto: umanisti, viaggiatori ed antiquari a Creta tra Medioevo e Rinascimento, von Massimo Cultraro 2018.

Rezensiert von: Thorwald C. Franke 23. Juli 2022.

Bibliographische Angaben: Massimo Cultraro, Alla ricerca del Labirinto: umanisti, viaggiatori ed antiquari a Creta tra Medioevo e Rinascimento, in: Emiliano Beri et al. (Autoren), Storia dei Mediterranei – Paesi, culture e scoperte dal tardo Medioevo al 1870, Edizioni di storia e studi sociali, Ragusa 2018; S. 61-86.


Baccio Baldini: Das Kretische Labyrinth und die Geschiche von Theseus und Ariadne


In diesem kleinen Artikel des italienischen Archäologen Massimo Cultraro geht es mehr um Labyrinthe als um Platons Atlantis. Diese Rezension konzentriert sich auf die Aussagen über Platons Atlantis. Was über Labyrinthe gesagt wird, mag gut und wertvoll sein, aber in Bezug auf Platons Atlantis müssen wir Kritik anbringen.

Die wesentlichen Behauptungen

Cultraro behauptet, Diodorus Siculus habe eine Verbindung zwischen Atlantis und Kreta hergestellt, da er von Zeus, der auf Kreta geboren wurde, und von dessen Bruder Atlas schrieb, den Cultraro mit dem König von Atlantis identifiziert (Diodor III 54, 56). Seitdem seien die Themen Atlantis und Kreta miteinander verbunden (S. 62).

Außerdem behauptet Cultraro, dass in den Werken der Neuplatoniker das symbolische Verständnis von Platons Atlantis und das symbolische Verständnis der Insel Kreta austauschbar wurde (S. 63).

Und Hermann Kern soll nachgewiesen haben, dass "die Gleichsetzung des kretischen Labyrinths mit Jericho über den Mythos von Atlantis ihren Ursprung in der syrischen Welt des 4. und 5. Jahrhunderts hat" (S. 66; Original: "Come ha dimostrato H. Kern, l'assimilazione del labirinto cretese con Gerico, passando attraverso il mito di Atlantide, sembra aver avuto come luogo d'origine il mondo siriano del IV e V secolo.")

Ein Bild aus der Collectio Antiquitatum von Giovanni Marcanova aus dem Jahr 1465 hat die Bezeichnung "Il Labirinto di Creta versus l'Atlantide platonica" erhalten (S. 76).

Wir müssen dies alles zurückweisen

Alles in allem versucht Cultraro, eine frühe Verbindung zwischen Platons Atlantis und Kreta nachzuweisen, die erst viel später im 19. Jahrhundert durch die Erforschung der minoischen Zivilisation und die Entdeckung des Thera-Ausbruchs zustande kam. Einer der von Cultraro erwähnten Reisenden nach Kreta, Joseph Pitton de Tournefort (1656-1708), sagte es selbst: Für ihn lag Atlantis im Atlantik. Aber Cultraro hat dies nicht bemerkt.

Weitere Fehler

Da Massimo Cultraro sich auf das höchst fehlerhafte Buch von Pierre Vidal-Naquet (und auf L. Sprague de Camp) stützt, finden wir viele Fehler, die Cultraro wiederholt. Zum Beispiel, dass Atlantis die reale Welt durch seinen märchenhaften Reichtum transzendieren würde (S. 61). Doch der Reichtum von Atlantis ist nicht "märchenhaft", und Atlantis transzendiert die reale Welt in keiner Weise. Verglichen mit (z.B.) Herodot sind die Bauwerke in Atlantis nicht größer als die größten bekannten Bauwerke, und auch das Alter von Atlantis ist nicht das älteste, und selbst das Oreichalkos ist nur zweitrangig nach dem Gold, etc. etc.

Laut Cultraro haben die Christen einen Perspektivwechsel in der Atlantisforschung herbeigeführt. Tertullian wird als Beispiel angeführt. Es bleibt jedoch unklar, worin der Perspektivwechsel bestanden haben soll, denn Tertullian hält Atlantis für einen realen Ort, genau wie andere vor ihm. Es sind vielmehr diejenigen Christen, die aus der Bibel ein Weltalter von 6.000 Jahren oder weniger ableiten, die einen Perspektivwechsel herbeiführten, indem sie damit begannen, die 9.000 Jahre von Atlantis als unmöglich zu kritisieren.

Auch die Meinung von Kosmas Indikopleustes wird falsch wiedergegeben. Kosmas bezieht sich auf Platons Timaios, ja. Aber er befürwortet ihn nicht. Er wendet sich gegen Platons Darstellung und hält sie für eine verstümmelte Version der biblischen Geschichte.

Ebenfalls auf der Linie von Pierre Vidal-Naquet hat Massimo Cultraro den großen Fehler gemacht, dass im Mittelalter praktisch niemand über Platons Atlantis geschrieben hätte (S. 63, 72 f.). Das ist natürlich völlig falsch, und Cultraro übersieht damit die Grundlage, auf der die Renaissance ihre Vorstellungen von Atlantis weiter aufbaute.

Schluss

Massimo Cultraro ist ein sehr fähiger und renommierter Archäologe, aber mit den Aussagen über Platons Atlantis in diesem kleinen Artikel ist er vom gewohnten Qualitätsniveau abgewichen. Dies ist durchaus verzeihlich, da sich Cultraro auf den maroden Zustand der aktuellen akademischen Atlantisforschung stützte. Wir mussten dennoch auf die Fehler hinweisen.

Bibliographie

Thorwald C. Franke, Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis – von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne, 2. Auflage in zwei Bänden, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021. Erste Auflage war 2016 in einem Band.

Hermann Kern, Labyrinthe: Erscheinungsformen und Deutungen – 5000 Jahre Gegenwart eines Urbilds, Prestel-Verlag, München 1982.

"Codice Marcanova" (digitalisiert): Modena, Biblioteca Estense Universitaria, lat. 992 (alfa.L.5.15)
https://www.mirabileweb.it/manuscript/modena-biblioteca-estense-universitaria-lat-992-(alfa-l-5-15)-codice-marcanova-manuscript/25638

Britisches Museum: Bild von Baccio Baldini, Das Kretische Labyrinth und die Geschiche von Theseus und Ariadne.
https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1868-0822-23



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